Die Bedeutung des DGH-Effekts und die Nutzung mariner Süßwasserquellen („Alte Sau“)

Marine freshwater spot management (MFSM, hiermit)

von

Dieter ORTLAM, Bremen*

mit 10 Abb.

Copyright, alle Rechte vorbehalten

Schlagwörter: Grundwasser-Ressourcen, quartäre Rinnen, Drainstränge, tertiäre Platte, Braunkohlensande, Grundwasser-Depressionsgebiet, Archimedes, DGH-Effekt, Salinare, Gorleben, Asse, Lesum, Lilienthal, Delmenhorst, Osterholz, Endlagerung, radioaktive Abfälle, edaphische Geo-Mimikrie, Treppenhaus-Leakage-System, Schärfe und Dynamik der Süß-/Salzwassergrenze, mineral spots, salt spots, hot spots, Extrusionsfahnen, „Alte Sau, „Old Sow“, Konzentrationsfahnen, onshore freshwater spots, Süßwasserablaufröhren/-kanäle, freshwater current pipes/channels, marine Süßwasserquellen, marine freshwater spots, Dogger-Bank, Seerauch, Geothermie, Kleine Eiszeit, Wasserbilanz, Wasserbewirtschaftung, marine Geo-Hydrologie, Jojo-Effekt, Kreta, Rethymnion, Perastikos-Quelltopf.



Zusammenfassung: Mit Hilfe des DGH-Effektes (dynamisches Tauchgleichgewicht zweier unterschiedlich mineralisierter flüssiger Phasen) lassen sich die Mächtigkeit und Konfiguration von allen (süßen) Grundwasserspeicherstätten auf Land erklären. So konnte die Entdeckung und die Dimension der größten zusammenhängenden Grundwasserspeicherstätte Europas zwischen Elbe und Weser-Aller abschließend interpretiert werden. Mineral- und Thermalwasseraustritte beruhen weltweit auf dem DGH-Effekt in Grundwasser-Depressionsgebieten. Die Süß-/Salzwassergrenze ist nicht nur in Porengrundwasserleitern, sondern auch in Kluft- und Karst-Grundwasserleitern messerscharf ausgebildet. Selbst in stark bewegten Oberflächengewässern (Flüsse und Meer) vollzieht sich die Vermischung unterschiedlich mineralisierter Wässer äußerst träge (Gesetze der Thermodynamik), jedoch auch plötzlich durch das Phänomen der „Alten Sau“ im Meer.

Geothermische Untersuchungen zeigen in NW-Deutschland ungewöhnlich geringe Temperaturgradienten (0,4-1,5° K/100 m) unterhalb von 20-60 m Tiefe, sodass hier die Nachwirkungen der Kleinen Eiszeit (1400-1850 n. Chr.) festgehalten wurden.

Die Vielzahl mariner Süßwasserquellen über die Ausbildung von Süßwasserablaufröhren im nacheiszeitlichen Geschehen des gewaltigen Meerwasserspiegelanstieges ist bisher ziemlich im Verborgenen geblieben. Dadurch lassen sich die erheblichen Defizite ("Löcher") in der Wasserbilanz vieler Länder durch erhebliche marine Grundwassereinträge erklären. Die submarinen Grundwassereinträge könnten etwa ein Drittel der Wassertransfers vom Land zum Meer ausmachen. Dies böte weltweit die Chance zur Erschließung örtlich großer Süßwasserressourcen an den Küsten der Erde, die es zu entdecken und nachhaltig zu bewirtschaften gilt.

Die hydrogeologischen, hydrochemischen und hydraulischen Verhältnisse an den Salinaren „Asse“ und „Gorleben“ werden diskutiert und Lösungsmöglichkeiten für die geologisch dauerhafte Endlagerung hochradioaktiver Stoffe unter Beachtung des wichtigen DGH-Effektes werden aufgezeigt.

Abstract: The thickness and the configuration of all (fresh) groundwater ressources on land are able to declare by the DGH-effect (= diving equilibrium of two different mineralized fluids). The discovery and the configuration of the biggest groundwater ressource of Europe lying together between the rivers of Elbe and Weser-Aller could be finally interpreted. Mineral and thermal water spots based on the DGH-effect in areas with groundwater depressions all over the world. The boundery between fresh- and saltwater is very sharp developed either in porous groundwater layers or in groundwater layers of solid and karstic rocks, indeed. The mixing of different mineralized waters in the rivers and the sea (with many movements: “Old Sow”) take place very sluggish by the laws of thermodynamics. In northwestern Germany many geothermal investigations show very little gradients of temperature (0,4-1,5° K/100m) in the underground deeper than 20-60m: the after-effect of the Little Glacial (1400-1850 a.Chr.). The quantity of marine freshwater current pipes (FCP) is undiscovered until now. The considerable deficits ("Löcher") of the water balance of many countries are now declared by the freshwater current pipes into the submarine area of the oceans. The submarine groundwater discharge could probably reach a third of the freshwater transfer from the lands to the oceans. This is a great chance to explore many groundwater ressources at the coasts of the earth to exploite these sustainable.

The hydrogeological, hydrochemical and hydraulic conditions of the salt-domes of “Asse” and “Gorleben” (northern Germany) are discussed. By estimation of the important DGH-effect the possibilities for the geo-longtime deposition of waste high radioactive materials are shown.

1. Einleitung

Die zu Ehren der Entdecker DRABBE & GHIJBEN (1887/89) sowie HERZBERG (1901) als DGH-Effekt (ORTLAM 1989, ORTLAM & SAUER 1993) benannten Vorgänge zum Tauchgleichgewicht nicht mischbarer flüssiger Phasen im Grundwasserbereich der Festländer (einschließlich Inseln) besitzen weltweite Bedeutung (Abb. 1 und 6). Als physikalische Gesetzmäßigkeit wurde dieses Prinzip zuerst von dem Griechen ARCHIMEDES (Syrakus/ Sizilien, 285-212 n. Chr.) am Tauchgleichgewicht zwischen einer festen und einer flüssigen Phase entdeckt (= "Archimedisches Prinzip"). In seiner Tragweite wurde dieses Prinzip im Grundwasserbereich bisher nur wenig erkannt, wie der Autor bei seinen weltweit geführten Diskussionen – vor allem mit binnenländischen Geowissenschaftlern -- immer wieder erfahren musste. Sowohl im Jahresgutachten des Wissenschaftlichen Beirates "Globale Umweltveränderungen" der Bundesregierung (WBGU 1997) als auch in den jüngsten Ausführungen zur Wasserbewirtschaftung der Erde (BMZ 1999) fehlt ein Hinweis auf den weltweit wichtigen und gültigen Aspekt des DGH-Effektes. Meistens ist diese wichtige physikalische Beziehung völlig unbekannt, obwohl sämtliche Mineral- und Thermalwasserquellaustritte nach dem DGH-Effekt funktionieren und plötzliche Salzwasseraufbrüche aus der Tiefe durch künstliche Reduzierung der Süßwasserauflast immer öfters im kontinentalen Bereich vorkommen (z. B. bei natürlichen und künstlichen Grundwasserabsenkungen), wie der Autor sich weltweit überzeugen konnte. So sind die zahlreichen Mineral- und Thermalwasser-Extrusionen Europas auf tektonischen Lineationen in ausgeprägten Süßwasser-Depressionsgebieten angeordnet z. B. im Oberrheingraben (Wiesbaden, Baden-Baden, Ottersweier-Hub, Erlenbad, Sulzbach, Ohlsbach südöstlich Offenburg, Pechelbronn/Nord-Elsass etc), in der Aachener Senke, im hessischen und thüringischen Werratal, KTB-Projekt Oberpfalz (Tiefenwärmeanomalie mit >3° K/100m), Karlsbad (oberes Egertal/Tschechien), Drushkininkai, (oberes Memeltal/Litauen). Aber auch in anderen Depressionszonen der Erde ist dieser DGH-Effekt zu beobachten: östlicher (Sinai-)Rand des Golfes von Suez (Ras Mohamed nördlich von El Merkha), Ostafrikanisches Grabensystem (z. B. Afar-Senke), Yanbajing nordwestlich von Lhasa/tibetischer Transhimalaya, oberes Kalakandaki-Tal/West-Nepal, Yenjiang im Mekong-Tal/Osthimalaya, nördlich von Cusco im oberen Urubamba-Tal/Peru und der Salton-See auf der San Andreas-Linie nördlich von Los Angeles/Kalifornien.

Der DGH-Effekt lässt sich aber auch – umgekehrt – an der Unterfläche des Packeises in den arktischen Regionen unserer Erde beobachten: aus dem Meerwasser wird das Süßwasser ausgefroren, so dass an der Unterfläche des Packeises in zunehmenden Maße eine so starke Sole entsteht, die sich als Flüssigphase vom darunter liegenden 3% bis 4%igem Meerwasser abgrenzt – vergleichbar mit der Rahmbildung auf der Milch -- und zunehmend eine tropfenartige Form an der Packeisunterfläche entwickelt. Dieser sehr kalte Soletropfen (weniger als –10° C Temperatur) wird aufgrund seines höheren spezifischen Gewichtes zum Schluss so schwer, dass er in die Tiefe zum Meeresboden absinkt und dort beim Auftreffen auf die vorhandene benthonische Biozönose trifft und alles Leben vorübergehend auslöscht. Diese Auswirkungen des DGH-Effektes sind bisher noch kaum erforscht und sollten umgehend von den einschlägigen Forschungsinstituten (z. B. AWI, Bremerhaven) in Angriff genommen werden.

Im Gegensatz zum erstgenannten zentrifugalen DGH-Effekt (= leichtes auf schwerem Fluid) würde ich letztgenannten als zentripetalen DGH-Effekt (= schweres auf leichtem Fluid) benennen wollen. Letztere Bedingung liegt bei dem Phänomen „der Alten Sau“ („Old Sow“) vor, wenn an einer Meeresküste ein Süßwasserfluss unter das schwerere Meerwasser schichtet, so dass ein instabiles Gleichgewicht entsteht. Dieses instabile Gleichgewicht wird durch einen plötzlich auftauchenden Riesen-Strudel ((„Old Sow“) dadurch aufgelöst, dass das schwerere Meerwasser in die Tiefe abgurgelnd verschwindet und damit kleinere Schiffe in den Abgrund ziehen kann.



Abb. 1: Schematisches Prinzip des DGH-Effektes im Binnenland, z. B. über einem Salinar als Salz-Donator.


Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt sich der Autor mit den dynamischen Vorgängen im Bereich der Süß-/ Salzwassergrenze an Land. Als junger Geologe wurde er Mitte der 60-er Jahre mit der großen Aufgabe betraut, im Zuge der Erkundung neuer und unerforschter Grundwasserspeicherstätten in Nord-Niedersachsen (Wasserwirtschaftliche Rahmenpläne "Obere und Untere Elbe" sowie "Nördlich der Aller") quartäre und tertiäre Schichtenfolgen unbekannter Zusammensetzung mit Hilfe tieferer Bohrungen in der Lüneburger Heide und in der Göhrde (Nord-Niedersachsen) zu erkunden. Dabei wurde zunächst davon ausgegangen, dass aufgrund bereits vorliegender Erkenntnisse eine Bohrerkundung tiefer als 100 m nicht angebracht sei, weil der Salzgehalt mit der Tiefe dann rasch zunehmen würde (WAGER 1956, 1957). Im Zuge der (winterlichen) Bohrkampagnen (ab 1966) wurde jedoch in Abstimmung mit den Auftraggebern (ehemaliges Wasserwirtschaftsamt Lüneburg, Herrn Dr. BELLIN, und später den Hamburger Wasserwerken, Herrn Dr. MENG) bei den ersten Bohrungen südlich von Hamburg soweit gebohrt, bis keine Grundwasserleiter mehr zu erwarten waren (tonig/schluffige Vierlande-Stufe und Alttertiär als Grundwassersohle). Zur großen Überraschung ergaben dann die diversen geophysikalischen Bohrlochmessungen (gamma-ray-log = GRL, resistivity-log = RES, self-potential-log = SP u. a.) und die sich daran anschließenden chemischen Grundwasseranalysen ausgedehnte Süßwasservorkommen bis in große Tiefen (>400 m u. GOF = unter Gelände-Oberfläche) von überwiegend hervorragender Wasserqualität (Abb. 2), die die bisherige Auffassung einer ab 100 m Tiefe beginnenden Grundwasserversalzung eindeutig widerlegte. Eine Erklärung für die statistische Auswertung sämtlich vorhandener Grundwasseranalysen (WAGER 1956, 1957) war bald gefunden: die ehemals tiefer als 100 m u. GOF gewonnenen Grundwasserproben stammten überwiegend von Erdölbohrungen an hochaufragenden Flanken norddeutscher Salinare, welche direkt Salzwasser von den Salzstocktops in die unmittelbare Umgebung abgeben, sodass eine hochragende Versalzung der tieferen Grundwasserleiter nur vorgetäuscht wurde (= edaphische Geo-Mimikrie, hiermit).

Damit war der Grundstein für die Entdeckung der größten zusammenhängenden Grundwasserspeicherstätte Europas in quartären (Rinnen-)Grundwasserleitern als natürliche Drain-Stränge (vor allem bei Grundwasserentnahmen) und den miozänen Braunkohlensanden der Tertiären Platte gelegt (>125 Mrd m³ Grundwasservolumen, mögliche regenerierbare Jahresentnahmemenge >50 Mio m³). Eine Erklärung für dieses überraschende Phänomen mächtiger süßwassererfüllter Aquifers konnte interessanterweise damals noch niemand geben. Als die Bohrungen von den morphologisch hochgelegenen Gebieten der Lüneburger Heide und der Göhrde (>100 m NN Geländehöhen) nach Osten in die morphologisch tiefgelegenen Gebiete der Jeetzel-Niederung (<15 m NN Geländehöhen im Wendland) vorankamen, erreichte das tief liegende Salzwasser Bereiche bis dicht unter der Erdoberfläche (Typ "Elbe-Ilmenau" nach HAHN 1975). Weit vor der Endlagererkundung (ab 1977) am Salzstock „Gorleben“ konnte der Autor bereits (!) Ende der 60-er Jahre große und hochreichende, aktive Salzwasserextrusionsbereiche über diesem Salzstock feststellen (Abb. 2), primär ausgelöst durch den DGH-Effekt und sekundär bedingt durch die Perforation tertiärer und quartärer Tonschichten im Bereich einer tiefen pleistozänen Rinne ("Gorlebener Rinne" nach ORTLAM & VIERHUFF 1978). Diese grundlegenden fachlichen Erkenntnisse, die damals auch schriftlich niedergelegt wurden (ORTLAM 1970 und 1972), fanden jedoch bei der (politischen) Auswahl des Salzstockes "Gorleben" als Erkundungsstandort für das geplante Atommüll-Endlager hochradioaktiver Stoffe leider keine Beachtung. Der Salzstock „Gorleben“ ist als Endlager für hochradioaktive Stoffe wegen der Perforation der tertiären Tonschichten durch eine noch nicht ausreichend erforschte quartäre Rinne mit deren Genese und der Hydraulik der aktiven Salzwasser-Extrusion aufgrund des DGH-Effektes nicht geeignet.

Diese Umstände kommen nun nicht nur den Steuerzahler und ggfs. den Gebührenzahler teuer zu stehen, wie dies bereits z. B. beim Schnellen Brüter Kalkar/Nordrhein-Westfalen und bei der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf/Bayern geschah, sondern eventuell auch den kommenden Generationen. Es wäre daher zweckmäßig und zwingend, eine zweite Standorterkundung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle rechtzeitig und unverzüglich anzugehen, wobei allerdings die physikalischen Gesetzmäßigkeiten des im Binnenlande nahezu unbekannten DGH-Effektes voll berücksichtigt werden müssen. Bei den jüngsten Vorfällen im Bereich der mittel- und schwach-radioaktiven Abfälle im Salinar „Asse“ südöstlich Braunschweig sind diese entscheidenden Kenntnisse des DGH-Effektes offensichtlich noch nicht angekommen. Sollte dies dann tatsächlich geschehen, dann könnte die momentane Situation von zunehmend eindringenden Salzwässern und tiefer liegenden radioaktiven Laugen ganz entspannt mit den entsprechend geforderten, langen Verweilzeiten (>1 Mio Jahre) per DGH-Effekt gelöst werden, ähnlich wie beim jetzigen Kernkraft-GAU in Japan, falls eine Kernschmelze eintreten sollte („Honi soit qui mal y pense!“).

Abb. 2: Halbschematischer hydrogeologischer West-Ost-Schnitt durch die Lüneburger Heide-Göhrde-Wendland (mit dem Salinar "Gorleben" im Osten).



Durch die geowissenschaftlichen Tätigkeiten des Autors in der Freien Hansestadt Bremen seit dem Jahre 1973 wurde er sodann stetig mit der Versalzung des tieferen und flacheren Untergrundes konfrontiert. Die stets zu beobachtende Dynamik (= Jojo-Effekt) der Süß-/ Salzwassergrenze bei Grundwasserabsenkungen und bei Pumpversuchen im morphologisch tief liegenden Bremer Becken (Geländeoberflächen <3 m NN) ließ gewisse physikalische Gesetzmäßigkeiten erkennen. Daraufhin wurde die Dynamik dieser Grenze empirisch im Bereich des durchgehend verfilterten oberen Grundwasserleiters untersucht (nördlich der Universität Bremen und in der Pannlake des Hollerlandes von Bremen, Abb. 5). Die Auflast des süßen Grundwassers wurde dabei durch den Absenktrichter eines Pumpversuches bzw. durch den natürlichen Jahresgang der Höhe der Grundwasserdruckspiegelfläche variiert, um das lokale Tauchgleichgewicht zwischen dem Süß- und dem darunter liegenden Salzwasser zu verändern (ORTLAM 1982, ORTLAM & SAUER 1996). Auch hier zeigten sich analoge Erkenntnisse wie in der Jeetzel-Niederung Nordost-Niedersachsens und dem dortigen Salzstock "Gorleben". Der drastische Anstieg der Süß-/Salzwassergrenze (DGH-Effekt im Treppenhaus-Leakage-System, hiermit) wird primär durch ein Grundwasser-Depressionsgebiet in einer morphologischen Senke hervorgerufen (Abb. 3 und 4).

Abb. 3: Hydrogeologischer Schnitt durch Geest und Marsch in Bremen-Nord mit dem Salzwasseraufstieg über dem Salzstock "Lesum" über die quartäre (elsterzeitliche) Lesumer Rinne durch den DGH-Effekt.



Abb. 4: Hydrogeologischer Schnitt "Hollerland" im Bremer Becken mit Ausprägung des DGH-Effektes über der elsterzeitlichen Borgfelder Rinne auf dem Salinar „Lilienthal“ -- ausgelöst durch die Sielwirtschaft seit dem 13. Jahrhundert. Schnittlage siehe Abb.5. N.G. = Neuengammer Gassande (Unter-Oligozän).



2. Ausprägung der Süß-/Salzwassergrenze

Vor den o. g. empirischen Versuchen in Bremen gab es umfangreiche Diskussionen mit Fachkollegen über die Mächtigkeit der Süß-/ Salzwassergrenzfläche in sandig-kiesigen Aquifers. Die Ausbildung einer 1 m bis 10 m mächtigen Diffusionszone wurde hierbei von den einzelnen Fachkollegen vermutet und vorausgesagt, sodass eine exakte Messung und eine Festlegung dieser Grenze mit Hilfe einer elektrischen Widerstandssonde kaum möglich gewesen wären. Bei den darauffolgenden Feld-Messungen ergab sich jedoch eine erstaunlich scharfe Grenze unter (!) 10 cm Mächtigkeit, was nicht erwartet wurde. Auch bei einer künstlichen Störung dieser Grenzzone (z. B. durch Spülbohrvorgänge) stellte sich die ursprüngliche Grenzschärfe in kürzester Zeit wieder ein (ORTLAM 1982, ORTLAM & SAUER 1996).

Selbst in einem fließenden Oberflächengewässer lassen sich verschieden mineralisierte Wässer nur langsam miteinander mischen. Bei der Einmündung der süßwasserführenden Fulda (mit geringerer Wasserführung) in die ehemals stark mineralisierte Werra (mit der Salzabwässerbelastung der Kaliindustrie von Hessen/ Thüringen) erfolgte die totale Durchmischung der beiden Wasserkörper – trotz mehrerer Flussmäander – erst nach mehr als 10 km Fließstrecke (ARGE Weser und eigene Messungen).

Eine ähnliche Beobachtung lässt sich umgekehrt bei der Einmündung der abwasserbelasteten Süßwasserfahne der Elbe in die Nordsee vor Cuxhaven machen: trotz Tideeinfluss im Wattenmeer der Nordfriesischen Inseln und der Brandungsvorgänge in der Deutschen Bucht erfolgt eine direkte Verströmung der damals noch stark abwasserbelasteten Süßwasser-Konvektionswalze 80 km nach Norden bis vor die Westküste der Insel Sylt (1987: freundliche mündliche Mitteilung von Prof. Dr. G. KRAUSE, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven).

Ein drittes Beispiel lässt sich am Kong-Oscars-Fjord in Nordost-Grönland beobachten. Ein von den Staunings-Bergen (Scoresby-Land) in den Fjord einfließender süßer Schmelzwasserabfluss bewegt sich als Süßwasserfahne etwa 20 km unvermischt nach Norden, bevor die durch Feinst-Teile weißlich getönte (getracerte) Schmelzwasserfahne sich allmählich im offenen Meerwasser des Fjord-Einganges auflöst (LÜTHY & PETERSEN 1978:115). Auch beim Zusammenfluss des Rio Negro Dunkelwassers in den gelbbräunlichen, trübstoffbeladenen Amazonas ist die Begrenzung beider Wasserkörper sehr scharf, und erst nach einer längeren Fließstrecke erfolgt eine Durchmischung durch Verwirbelung beider Süßwassermassen. Auch der Süßwasserkeil des Amazonas lässt sich bis zu 300 km weit von seiner Mündung in den Atlantischen Ozean hinaus verfolgen.

Ein letztes Beispiel -- im Karstgrundwasserleiter -- wird von untermeerisch endenden Höhlensystemen („Cenotes, Quellen der Maya) an der Nordost-Küste der Halbinsel Yucatán/Mexico von Höhlentauchern geschildert (GERRARD, LOCKWOOD, PROHASKA & ROMBERG 1999:62): "Das vom Regen gespeiste Süßwasserreservoir der Halbinsel Yucatán schwimmt auf dem Salzwasser der Karibik wie ein Fettauge auf einer Suppe. Die Grenze zwischen Süß- und Salzwasser ist messerscharf. Wenn man darauf zuschwimmt, meint man, vor sich einen zweiten Wasserspiegel zu haben." Diese Spiegelfläche wird von den Höhlentauchern als Sprungschicht bezeichnet und pulsiert mit den Meeresgezeiten in horizontaler Richtung. Mit der Hydraulik des Süßwasseranfalls von Landseite erfolgt ebenfalls eine horizontale Bewegung.



Abb. 5: Salinare „Delmenhorst-Osterholz“, „Lilienthal“ und „Lesum“ sowie quartäre (elsterzeitliche) Rinnen mit Salzwasser-Extrusionsfahnen im Bremer Becken.



Als Ergebnis dieser Beispiele lässt sich nun feststellen, dass unterschiedlich mineralisierte Phasen selbst in bewegten Oberflächengewässern nur langsam mischbar sind, in Kluft-, Karst- sowie sandig-kiesigen Porengrundwasserleitern dagegen kaum (Gesetze der Thermodynamik). Der Begriff der Konzentrationsfahne ist aus dieser neuen Sichtweise mehr als berechtigt und konkret anwendbar, z. B. auch bei Grundwasser-Emissionsfahnen, die von Altlasten ausgehen. Als praktisches Beispiel für ausgedehnte und persistente Salzwasserkonzentrationsfahnen von etwa 10 bis 15 km Länge (Abb. 5) können auch die geochemischen Verhältnisse im oberen Grundwasserleiter des Holler- und Blocklandes auf der rechten Weserseite und des Ober- und Niedervielandes auf der linken Weserseite von Bremen dienen (ORTLAM 1989). Die Süß-/Salzwassergrenze ist in Poren-, Kluft- und sogar in Karstgrundwasserleitern messerscharf ausgebildet, wobei das spezifisch leichtere Süßwasser immer auf dem schwereren Salzwasser schwimmt und ein Tauchgleichgewicht mit ihm einnimmt (= DGH-Effekt).

Die Geochemische Grundwasser-Kartierung (ORTLAM & SAUER 1993 und 1999) erbrachte mithilfe des preiswerten Einsatzes des „Rollenden Peilrohres“ (ORTLAM & SAUER 1995a) erstaunlich gute Einblicke nicht nur in den oberen Grundwasserleiter sondern auch das tiefer liegende geochemische Geschehen im Bereich der Salinare des Bremer Beckens (u. a. hermetische, natürliche Ton-Abdichtung am Salzspiegel des Salinars „Lesum“, Lokalisation der Salzwasser-Extrusionsgebiete über quartären Rinnen, ORTLAM & SAUER 1996b). Ähnliche Untersuchungen dürften sich auch im Bereich des Salinars „Gorleben“ der Jeetzel-Niederung noch durchführen lassen, um die Salzwasser-Extrusionsdynamik über der Gorlebener Rinne besser abschätzen zu können. Das Bremer Becken und die Jeetzel-Niederung sind als Süßwasser-Depressionsgebiete mit unterlagernden Salinaren nämlich direkt miteinander vergleichbar.



3. Marine Süßwasserquellen

Allgemein lässt sich die Aussage treffen, dass – aufgrund der ungleichen Verteilung von Land (29,2 Flächen%) zu Meer (70,8 Flächen%) unserer Erde und wegen des höheren spezifischen Gewichtes des Meer- bzw. kontinentalen Tiefenwassers – die Kontinente als große Inseln im Welt-Ozean mit mehr oder weniger ausgedehnten Süßwasserlinsen betrachtet werden können, die dem DGH-Effekt unterliegen (Abb. 6). Diese neue Sichtweise ist bisher im Binnenland nahezu unbekannt. Hauptsächlich in den Niederlanden ist das Wissen um den DGH-Effekt weit verbreitet und in den Tiefland-Gebieten von eminent praktischer Bedeutung (z. B. Süßwasseranreicherung in den Küstendünen, schnelle Aussüßung des bindigen Untergrundes in den eingedeichten Großpoldern des Ijssel-Meeres).

Abb. 6: DGH-Effekt im Bereich einer Insel bzw. einem Kontinent mit Strandquellen und Süßwasserablaufröhre (freshwater current pipe = FCP).



3.1. Am Küstenstrand

Wenn Seefahrer in früheren Entdeckerzeiten unbekannte Inseln passierten und ihre zur Neige gehenden Süßwasservorräte wieder aufzufüllen hatten, aber keinen Süßwasserzufluss ins Meer ausfindig machen konnten, so grub man wegen des großen Grundwasserflurabstandes nicht etwa im Inselinnern, sondern an der obersten Strandwasserlinie nach (süßem) Grundwasser (SONREL 1880 und freundliche mündliche Mitteilung von Prof. Dr. K. KREJCI-GRAF, Frankfurt/M. im Jahre 1961). Dort grenzt nämlich die Süßwasserlinse der Insel scharf an das Salzwasser des Meeres an und konnte daher am (sandigen) Strand relativ leicht ergraben werden (Abb. 6). Oft lassen sich jedoch auch unterschiedlich stark schüttende Süßwasserquellen (onshore freshwater spots, OFS, hiermit) beobachten wie z. B. die Süßwasserquellen am (Geest-) Sandstrand von Duhnen/Sahlenburg bei Cuxhaven (ORTLAM 2005 und 2007); die zahlreichen Karstquellen an der östlichen Adriaküste und des Balkans; der große Perastikos-Quelltopf westlich Rethymnion (Kreta) mit einer Jahresquellschüttung von (!) >100 Mio m³ Süßwasser, das umgehend über den Strand ins Mittelmeer abläuft und somit unwiederbringlich und ungenutzt verschwindet (Abb. 7 und 8). Dieses -- relativ einfach -- zu Trink- und Brauchwasser aufzubereitende Grundwasser stellt auf quellwasserarmen Inseln und Ländern der heißen Zonen (z. B. Zypern, Malta, Süd-Spanien, Balearen, Kanaren, Nord-Afrika, Israel, Vorderer Orient, Golfstaaten) ein großes volkswirtschaftliches Potential dar und sollte daher entsprechend genutzt werden z. B. als Trink- und Brauchwasser für eine nachhaltige d. h. minimierende Bewässerung, auch der geklärten Abwässer. Ein äußerst negatives Beispiel ist die wenig sachgerechte Bewirtschaftung der fossilen Grundwasser-Vorkommen der Sahara durch Libyen. Die an heißen Tagen oft zu beobachtende Beregnungsbewässerung in der Landwirtschaft ist aufgrund der hohen Verdunstungs- und Evapotranspirationsrate auch in Mitteleuropa wenig sinnvoll und kann – abhängig vom Mineralisationsgrad des zur Verfügung stehenden Grundwassers -- in semiariden bis ariden Gebieten zu erheblichen Salzbelastungen der Böden führen (z. B. Ägypten, Libyen, Syrien, Israel, Jordanien), sodass diese bald unbrauchbar werden. Diese Beregnungsbewässerung sollte während des Tages ganz aufgegeben werden, um Grundwasservorräte (vor allem fossile) zu schonen und nachhaltig zu bewirtschaften.



Abb. 7: Perastikos-Quelltopf bei Georgioupoli westlich Rethymnion (Nordküste der Insel Kreta)



Abb. 8: Ablauf des Perastikos-Quelltopfes (Q = 3-4 m3/s = >100 Mio m3/a) in das Ägäische Meer (im Hintergrund) bei Georgioupoli westlich Rethymnion/Kreta.

3.2. Im Meer

In den 90-er Jahren wurde im Fischereihafenbereich Bremerhavens (an der Einmündung der Weser in die Nordsee) eine Aufschlussbohrung zur Auffindung von Salzwasser für eine Seewasserfischzucht niedergebracht (St. Petrusbrunnen im Fischereihafen, Bremerhaven). Statt des nach dem damaligen Kenntnisstand zu erwartenden Salzwassers wurde in diesem total von Meerwasser intrudierten Gebiet völlig überraschend eine Süßwasserzone bis 150 m Tiefe angetroffen (Abb. 9). Durch einen zweiwöchigen Langzeitpumpversuch konnte eine ursprünglich vermutete Süßwasserlinse ausgeschlossen werden, da kein Salzwassereinbruch nach dem DGH-Effekt erfolgte. Durch eine 14C-Analyse wurde das Alter des Grundwassers auf etwa 6000 a bestimmt (freundliche Mitteilung von Prof. Dr. M. GEYH, NLfB, Hannover), was mit den bisherigen Grundwasseraltersdatierungen der östlich angrenzenden Wulsdorfer Geest übereinstimmte. Daher lag es nahe, dieses überraschend entdeckte und hochpotente Süßwasservorkommen (ca. 1 Mio m³/a) als allseitig von Salzwasser begrenzte Süßwasserablaufröhre (freshwater current pipe, FCP, hiermit) des Geestgrundwassers in Richtung auf die Nordsee zu interpretieren.

Aus diesem Beispiel lässt sich ableiten, dass irgendwo am Grunde der Nordsee dann Süßwasserquellen (marine freshwater spots, MFS, hiermit) nicht unerheblichen Ausmaßes zu erwarten sind, die damit unwiederbringlich und ungenutzt das Süßwasser des Landes ins Meer abführen wie z. B. im Bereich der Dogger-Bank. Dort sind Süßwasserquellen durch erhöhte Wassertemperaturen durch winterliche Infrarot-Aufnahmen der DLR, Oberpfaffenhofen, nachweisbar, deren Ursprung durch FCP´s vom ostenglischen Festland abzuleiten ist und dort zur verstärkten winterlichen Nebelbildung führen (Dogger-Bank = Dugg-Bank = Nebel-Bank, freundliche mündliche Mitteeilung von Herrn Olaf DINNÉ, Bremen; meteorologisch: „Seerauch“). Die große Zahl weit in die Nordsee einlaufender pleistozäner Rinnen (ORTLAM VIERHUFF 1978, KUSTER & MEYER 1979, ORTLAM 1993, SCHWAB & LUDWIG 1996, STACKEBRANDT 2009) als natürliche Süßwasserablaufröhren lässt einen erheblichen, direkten Grundwasserabfluss über marine Süßwasserquellen erahnen.



Abb. 9: Halbschematischer hydrogeologischer Schnitt Bremerhaven mit Salzwasserintrusion im oberen Grundwasserleiter (grün) und einer Süßwasserablaufröhre (freshwater current pipe = FCP) im unteren Grundwasserleiter (blau).



Solche submarinen Quellaustritte werden am Grunde der Ostsee auch von Wissenschaftlern des GEOMAR (Kiel) inzwischen vermutet und konnten bereits am Grunde der Eckernförder Bucht nachgewiesen werden (BOHRMANN & SAUTER 1999). Auch im Küstenbereich der Osterinsel/SE-Pazifik gab es nach mündlicher Überlieferung in voreuropäischer Zeit marine Süßwasserquellen, als die Insel noch stark bewaldet war und höhere Niederschläge aufwies. Wegen der Entwaldung und der nachfolgenden Trinkwasserknappheit tauchten die Einwohner vor der Meeresküste mit ährengefüllten, steinebeschwerten und abgedeckelten Kürbisbehältern bis zur submarinen Süßwasserquelle ab, drehten die Öffnung des Gefäßes über dem Quellaustritt nach unten, befüllten das Gefäß mit dem spezifisch leichteren Süßwasser unter Verdrängung des darin sich befindlichen und mit Ähren getracerten Salzwassers, tauchten mit dem abgedeckelten Gefäß auf und brachten das Trinkwasser an Land (freundliche schriftliche Mitteilung von Thor HEYERDAHL, Teneriffa/Norwegen, mit Ergänzungen vom Autor).

Die marinen Süßwasserquellen (MFS) dürften an den Küsten unserer Erde zahlreicher sein, als dies bisher angenommen wird. So schilderte Thor HEYERDAHL (Teneriffa/Kanaren) dem Autor zahlreiche Vorkommen von marinen Süßwasserquellen an den Meeresküsten der Erde, ebenso wie diese bereits von SONREL (1868-80) weltweit für Süßwasser suchende Segelleute beschrieben wurden.

3.3 Genese von Süßwasserablaufröhren (freshwater current pipes = FCP)

Beim tiefen Meeresspiegelniveau am Ende der letzten Kaltzeit (ca. 125 m –NN, 17000 a v. h. nach FAIRBANKS 1989) und der Auflösung der tiefreichenden Permafrostböden (>500 m u. GOF, ORTLAM & VIERHUFF 1978) der nördlichen Breiten waren die Abflüsse der Süßwassertransfers vom Land zum Meer auf ein wesentlich tieferes Meeresvorflutniveau als heute eingestellt, nachdem es zu einem Neubeginn des – bisher gefrorenen und damit blockierten – Grundwasserabstromes primär zu den Vorflutern bzw. zum damaligen Meeresspiegelniveau von etwa 60 m –NN (ca. 10000 a v. h., FAIRBANKS 1989) kam.

Der in zahlreichen tiefreichenden Peilrohren von Nordwest-Deutschland gemessene Temperaturverlauf zeigt zumindest bis in 400 m u. GOF (Tiefe) einen ganz anormalen Temperaturgradienten auf, nämlich (!) 0,4° bis 1,5°K/100m (Abb. 10). Der normale Temperaturgradient in Mitteleuropa ist wesentlich höher und beträgt etwa 3°K/100m, sodass die hier gemessenen Werte um das Zwei- bis Fünffache "unterkühlt" sind d. h. noch kaltzeitliche (Rest-) Temperaturen aufweisen. Die besonders niedrigen Temperatur-Gradienten (um 0.5°K/100m) lassen sich bezeichnenderweise überwiegend in den tiefen pleistozänen Rinnensystemen (ORTLAM 1970, ORTLAM & VIERHUFF 1978) beobachten, während im Bereich der tertiären Platten überwiegend Werte zwischen 1,0° und 2.0°K/100m gemessen werden. Es liegen also vergleichbare geothermische Verhältnisse wie in einigen Bereichen Nordamerikas vor (POLLACK & CHAPMAN 1993), sodass der Einfluss der Kleinen Eiszeit (1350-1850 n. Chr.) in Bohrtiefen über 20-60 m u. GOF bis in (!)>350 m Tiefe überall zu beobachten ist (Abb. 10).

Abb. 10: Bohrprofil, Verfilterung und Temperaturverlauf von P 18 Wasserwerk Ritterhude (mit deren freundlicher Genehmigung) nördlich von Bremen. Lage siehe Abb. 5, „Ritterhuder Rinne“

Durch den drastischen holozänen Meeresspiegelanstieg (FAIRBANKS 1989) erfolgte eine dezidierte (edaphische) Salzwasserintrusion vom Meer in den örtlichen Küstenuntergrund, abhängig von den jeweiligen Druckverhältnissen des zum Meer abströmenden Süßwassers und der Permeabilität des Untergrundes. So konnte das flächenhaft intrudierende Meerwasser (BEAR et al. 1999) letztendlich den Süßwasserabfluss nur kanalisieren jedoch nicht unterbinden. Dabei kam es primär zur Ausbildung von Süßwasserablaufkanälen (freshwater current channels, FCC, hiermit), d. h. einer dreiseitigen Begrenzung mit intrudierendem Meerwasser und erst sekundär zur Ausbildung von Süßwasserablaufröhren (freshwater current pipes, FCP) und somit einer allseitigen Begrenzung mit intrudierendem Meerwasser in Richtung der Abflussachse (Abb. 9). Die Menge des nun kanalisierten Süßwasserabstromes zum Meer dürfte sich mengenmäßig jedoch zugunsten der Fluss-Ästuare verschoben haben, da der landseitige Druck des Süßwasserabflusses zum Meer hier am größten ist und ein geringerer Widerstand vorliegt.

Das ehemals tiefliegende Meeresspiegelniveau ist auch der Grund, warum heute so viele (bisher erkundete) Karsthöhlen weit unter dem heutigen Meeresspiegel enden und in ihnen Tropfsteingebilde weit unter dem rezenten Meeresniveau auftreten (z. B. Karstgebiete des Mittelmeeres und der Halbinsel Yucatán/Mexico). Schon allein diese Fakten sprechen dafür, dass es weltweit an den verschiedenen Küstenabschnitten zu erheblichen submarinen Süßwasseraustritten kommt.

4. Nutzung mariner Süßwasserquellen

Nach einer stichprobenartigen Auswertung von Luftbild- und Satellitenaufnahmen in ausgewählten Spektralbereichen (u. a. thermische Anomalien) zeigt sich in vielen Küstenabschnitten der Erde eine erhebliche Transfer-Rate von kaltem oder warmen Grundwasser in ein relativ wärmeres bzw. kälteres Meer. Diese Beobachtung lässt einen wesentlich höheren Austrag von (süßem) Grundwasser vom Land zum Meer vermuten, das landseitig (noch) nicht genutzt wird und daher örtlich auf unserer Erde eine erhebliche Süßwasser-Ressource darstellt.

Bisher herrscht allgemein die Ansicht vor, dass >90% des landseitig gebildeten Grundwassers über Flussmündungen in die Weltmeere übergehen (nach KÖNGETER 1999: 1,2 Mio m3/s weltweit), bevor der hydrologische Kreislauf des Wassers mit der Meeresverdunstung wieder beginnt (LIEBSCHER 1979). Aufgrund der vorliegenden Erkundungen könnte sich dieser Prozentsatz in Zukunft erheblich auf einen (geschätzten) Wert von ca. 60% reduzieren. Das heißt, dass ca ein Drittel der bisher unbekannten Süßwassertransfers vom Land zum Meer über untermeerische und bisher unbekannte Süßwasseraustritte bewerkstelligt würde, ohne dass dies bisher vermutet und beobachtet worden wäre. Dieses ungenutzte Süßwasser-Volumen würde sich dann auf etwa 0,4 Mio m3/s weltweit belaufen (= 75 l/s pro Erdenbewohner): eine stolze Menge!

Diese Erkenntnisse werfen nun ein ganz neues Licht auf den Verbleib von etwa 100 mm Niederschlag in der Wasserbilanz der Bundesrepublik Deutschland (sogenannte "Löcher" nach KELLER 1980), die nun als direkter Süßwasser-Transfer via Süßwasserablaufröhren (FCP) interpretiert werden können. Die Wasserbilanzen anderer Länder sind ebenfalls mit diesen bisher nicht erklärbaren "Löchern" versehen, sodass sich hier ebenfalls Chancen zu neuen Erkenntnissen auftun.

Wären nun diese Transferpunkte an den Küsten bekannt, dann könnte an den jeweiligen Küstenabschnitten durch landseitige Erkundungsbohrungen der FCP (Süßwasserablaufröhren) der nicht sichtbare, unterirdische Süßwasserabstrom erfasst und entsprechend genutzt werden. Mit einem weltweiten Forschungsprogramm zur marinen Süßwasserbewirtschaftung ließe sich diesem Defizit zunehmend Abhilfe schaffen, um der stetig sich vergrößernden Wassernot auf unserer Erde wirksamer zu begegnen (UNEP, Geo 2000). Diese Erkundungen wären eine ertragreiche Investition in wahrlich konfliktverhindernde und friedenstiftende Maßnahmen für die Zukunft der Menschheit. Wahrscheinlich gibt es genügend vor Ort nutzbare Süßwasservorräte auf unserer Erde. Sie sind nur noch nicht bekannt und ungleich verteilt, sodass entsprechende Ideen zur Lokalisation, Exploration, Exploitation und Verteilung der Grundwasserressourcen massiv eingebracht werden müssen. Insofern sind die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates "Globale Umweltveränderungen" (WBGU 1998) an die Bundesregierung, insbesondere die Punkte 6 (weltweite Süßwasserbilanzierung) und 7 (weltweite Süßwasserökosystem-Kartierung) als vordringlich einzustufen und im Rahmen der Entwicklungshilfe zu bedienen.

Einer integrierten Wasserressourcen-Bewirtschaftung der Süßwasservorräte der Erde ist daher oberste Priorität einzuräumen (BMZ 1999). Zukunftsweisende Innovationen auf dem nun neuen Forschungs- und Lehrgebiet der "MARINEN GEO-HYDROLOGIE" (MGH, hiermit, ORTLAM 2000) sind daher gefragt und sollten wegen des anstehenden Süßwasserbedarfes der wachsenden Weltbevölkerung baldmöglichst umgesetzt werden. Dabei wäre jedoch auf eine gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den relevanten naturwissenschaftlichen Disziplinen -- gepaart mit dem lokal vorhandenen Wissen -- zu achten, um langfristig ein optimales und auch nachhaltiges Ergebnis zu erzielen (Rio-Konvention von 1992). Eine Partizipation der betroffenen Bevölkerung sollte daher eine wichtige Grundvoraussetzung für das Gelingen solcher Projekte sein.

5. Literatur

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Erst-Publikation: 2006; Fassung: 05/2014

*Autorenadresse und Copyright: Dir. u. Prof. Dr. Dieter ORTLAM; Dipl.-Geologe, ehemaliger Leiter des Amtes für Bodenforschung Bremen (NLfB, Außenstelle Bremen), P.O.B. 102701; D-28027 Bremen.