3. Symp. Nat. Attenuation 4./5. 12. 2001 DECHEMA Frankfurt/M. --- Vortragspräsentation –

Die anthropogene Stickstoff-Kaskade

im oberen Aquifer Bremens

und ihre Auswirkungen

von

Dieter ORTLAM*

Copyright, alle Rechte vorbehalten

Nitratverbindungen sind leicht wasserlöslich und können nicht durch Ausfällung oder Adsorptionsvorgänge an Sedimentpartikeln eliminiert werden. Nitrat wird sehr leicht aus dem durchwurzelten Bodenbereich ausgewaschen und gelangt über das Sickerwasser ins Grundwasser (WENDLAND 1992). In naturbelassenen Regionen liegen die Nitratgehalte im Grundwasser i. d. R. unter 1mg/l NO3 (AUERSWALD et al. 1990). Erhöhte Nitrat-Gehalte sind daher überwiegend anthropogenen Ursprungs und können auf lokale, punktförmige als auch auf diffuse, flächenhafte Eintragsquellen zurückgeführt werden (WENDLAND et al. 1993).

Der Eintrag von Stickstoffverbindungen in den oberen Aquifer erfolgt auf mehreren Kontaminationspfaden:

  1. Atmosphärische Einträge über die Niederschläge von NOx-Verbindungen und den Sickerwasserpfad. Für Norddeutschland: 40kg N/ha*a nach BACH (1990) bzw. 5 bis 15kg N/ha*a nach UBA (1997).
  2. Flächenhafte Einträge durch Düngung landwirtschaftlicher Flächen über den Sickerwasserpfad (WENDLAND 1992).
  3. Punktuelle Einträge aus abschnittsweise schadhaften und über der Grundwasser-Druckspiegelfläche liegenden Kanalisationen über den Sickerwasserpfad (KLENKE & ORTLAM 1988, MULL et al. 1991).
  4. Punktuelle Einträge aus dem kommunalen und industriellen Bereich wie z. B. Kläranlagen, häusliche Sickergruben, Silagen und Deponien (WENDLAND 1992).
  5. Lineare Einträge über die Oberflächengewässer Weser (19mg/l NO3), Wümme (8mg/l NO3), Lesum (15mg/l NO3) und Ochtum (5mg/l NO3) durch die seitliche Exfiltration und Infiltration in den oberen Aquifer der Bremer Marsch.

Die deutsche Trinkwasserverordnung (BUNDESMINISTER JFFG 1990) legt für den Parameter Nitrat einen Grenzwert von 50mg/l NO3 fest, der mit dem Richtwert der EU-Richtlinie übereinstimmt. Im oberen Aquifer der Stadtgemeinde Bremen variieren die Nitrat-Konzentrationen zwischen 0 mg/l NO3 in der Auenlehm- und Moor-Marsch und 200mg/l NO3 in der Bremer Düne (Bremen-Walle). Meistens liegen jedoch die Nitrat-Konzentrationen unter dem Trinkwasser-Grenzwert. Unter den landwirtschaftlichen Flächen bewegen sich die Nitratwerte bei <5mg/l, was nicht verwunderlich ist, da aufgrund der verminderten Durchlässigkeiten der als Deckschichten weitverbreiteten holozänen Weichschichten eine Grundwasser-Regeneration nicht oder nur eingeschränkt stattfindet. Die Bremische Gülleverordnung sollte daher in Zukunft entsprechend relativiert werden.

Landwirtschaftliche Nutzung (u. a. Silagen, Sickergruben), Altlasten und Leckagen in der Abwasser-Kanalisation (z. B. Misch-Kanäle der Bremer Düne) beeinflussen lokal durch erhöhte Ammonium-, Nitrat-, Sulfat-, Protonen- (= niedrige pH-Werte) und Gesamteisen-Konzentrationen stark den Grundwasser-Chemismus. Dabei spielen sich die folgenden Vorgänge hinter- und/oder nebeneinander ab (BÖTTCHER, STREBEL & DUYNISVELD 1989):

  1. NH4 + 3 O2 ----------------------------------> 2 NO2 + 4 H + 2 H2O

Thiobacillus nitrificans (im Sickerwasser)

(II) 2 NO2 + O2 -----------------------------------> 2 NO3 (teilweise im Sickerwasser)

  1. 5 FeS2 + 14 NO3 + 4 H -----------------------------> 7 N2(?) + 10 SO4 +5 Fe + 2 H2O

Thiobacillus denitrificans

  1. SO4 + 2 C + 2 H2O ------------------------------------> 2 HCO3 + H2S(?)

Die fettgedruckten Ionen bilden vorübergehende oder dauerhafte Anomalien im Grundwasser aus. Entgasende Moleküle (N2 und H2S) werden mit (?) markiert.

Die bakterielle Nitrifikation des unter reduzierenden Bedingungen vorliegenden und absickernden Ammoniums zu Nitrit/Nitrat (I und II) verursacht primär die vorliegenden Nitrat-Anomalien im oberen Aquifer der langgestreckten Bremer Düne. Danach setzt sekundär eine Denitrifikation von Nitrat zu ausgasendem molekularen Stickstoff ein (III). Für diese Reaktion ist das Vorhandensein von Eisensulfiden durch Pyrit/Markasit als Reaktionspartner auf den Sedimentkornoberflächen des oberen Aquifers – unter reduzierenden Bedingungen – erforderlich. Kohlenstoffhaltige Huminverbindungen aus den Niedermooren dienen wahrscheinlich den nitratreduzierenden Bakterien als Nahrungsquelle für die chemischen Reaktionen (III und IV), weil andere Quellen kaum zur Verfügung stehen. Es sei denn, dass andere Inhaltsstoffe der einsickernden Abwässer als Nahrungsquelle dienen, wodurch dann ein geochemischer Selbstläufer induziert wird (= Huckepack-Reaktion).

Als naheliegende Beweise für diese Vorgänge lassen sich die deckungsgleichen, erhöhten Konzentrationen an Protonen, Sulfaten und Gesamteisen in der Bremer Düne anführen, wie diese durch die geochemische Grundwasser-Kartierung Bremen belegt werden (ORTLAM & SAUER 1993). Eine zwei Jahrzehnte zurückliegende Beobachtung konnte erst vor wenigen Jahren aufgrund der o. g. Reaktionen in ihrem Ablauf geklärt werden:

Ein 1974 gebohrter 15m tiefer Brunnen einer bekannten Firma am Westrand der Bremer Düne (Hafenbereich Walle) ergab bei der Grundwasserförderung so erhebliche Entgasungen ("Sprudel-Quelle"), dass eine Gasanalyse wegen Verdacht auf explosives Methan oder erstickungsgefährdendes Kohlendioxid in der BGR (Hannover) angefertigt wurde. Das Ergebnis erbrachte 99,5Vol% Stickstoff, der aufgrund seiner isotopischen Zusammensetzung sehr jung sein musste. Damit schied eine Tiefenentgasung aus der Stickstoff-/Erdgas-Provinz des Weser-Ems-Raumes als mögliche Erklärung aus, so dass bis vor wenigen Jahren der Erklärungsnotstand anhielt.

Heute kann nun diese stetige Stickstoffentgasung mit der laufenden Stickstoff-Produktion bei den Denitrifikationsprozessen und dem natürlichen Abbau von Nitrat-Anomalien im Bereich der Bremer Düne nach der Reaktionsgleichung (III) erklärt werden. Die sehr starken Stickstoffentgasungen und die ursächlich damit verbundenen Nitrat-Anomalien lassen sich nur durch eine Sanierung der Stickstoff-Quellen (z. B. schadhafte und Abwasser durchlässige Kanäle) vermeiden. Damit ließe sich langfristig ein drastischer Abbau nicht nur der Ammonium- und Nitrat-Anomalien einleiten, sondern auch die Bildung von erhöhten Konzentrationen an Protonen (= niedere pH-Werte), an Sulfaten, an Gesamteisen, an Hydrogenkarbonaten sowie an entgasenden (giftigen) Schwefelwasserstoff verhindern.. Dies könnte im Bereich der Bremer Düne zu einer deutlichen Verbesserung der Grundwassergüte im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes beitragen.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie eine geochemische Kettenreaktion, eine Stickstoff-Kaskade, in Gang gesetzt wird: aus einem eingetragenen Stoff (hier: Ammonium aus dem Kanalabwasser) entstehen aufgrund geochemisch-bakterieller Prozesse im oberen Aquifer insgesamt sieben Reaktionsanomalien mit vorübergehenden und persistenten Zuständen (Reaktionsgleichungen I bis IV), wobei sich nur zwei gasförmige Reaktionspartner aus der Stickstoff-Kaskade lösen können, unter Zurücklassung von mindestens drei unangenehmen geochemischen Parametern (niedere pH-Werte, Sulfate und Gesamteisen) im Grundwasser.

In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich das Nitrat-Belastungsniveau bereits deutlich abgesenkt, als Resultat weitreichender Erneuerungen und Sanierungen von schadhaften Kanälen sowie den edaphischen Nitrat-Abbauprozessen im oberen Aquifer der Stadtgemeinde Bremen. Die Anwendung dieser vorgestellten Erkenntnisse und Methoden lassen sich nun auch auf andere analoge Gebiete übertragen.

Schrifttum

AUERSWALD, K., ISERMANN, K., OLFS, H. W. & WERNER, W. (1990): Stickstoff- und Phosphoreintrag in Fließgewässer über diffuse Quellen. – In: HA "Phosphate und Wasser" in der Fachgruppe "Wasserchemie" der GdCh: Wirkungsstudie" Fließgewässer".

BACH, M. (1990): Möglichkeiten zur Verminderung des Nitrateintrags in das Grundwasser, insbesondere durch regional differenzierte Verringerung des Stickstoffüberschusses aus der landwirtschaftlichen Bodennutzung. – Abschlußbericht zum KFA-Werkvertrag Nr.011/41104813/930, 66 S., Gießen.

BÖTTCHER, J., STREBEL, O. & DUYNISVELD, W. H. M. (1989): Kinetik und Modellierung gekoppelter Stoffumsetzungen im Grundwasser eines Lockergestein-Aquifers. – Geol. Jb., C 51:3-40, 15 Abb., Hannover.

BUNDESMINISTER FÜR JUGEND, FAMILIE, FRAUEN UND GESUNDHEIT (1990): Verordnung über Trinkwasser und über Wasser für Lebensmittelbetriebe (Trinkwasserverordnung). – BGBl. 1990, Teil I, 66:2612-2629, Bonn.

KLENKE, TH. & ORTLAM, D. (1988): Beobachtungen zur Nitratverteilung im oberen Grundwasserleiter der Stadt Bremen. – Z. dt. geol. Ges., 139:485-492, 3 Abb., 1 Tab., Hannover.

MULL, R., BUGNER, C., HÄRIG, F., PFINGSTEN, W. & PIELKE, M. (1991): Nitrate balances in aquifers. – In: Nitrate Contamination, NATO ASI Series, G 30:129-139, 8 figs., (Springer) Berlin/Heidelberg/New York.

ORTLAM, D. & SAUER, M. (1993): Geochemische Grundwasser-Kartierung Bremen.- Darstellung der Grundwasserbeschaffenheit und deren Beeinflussung durch Altlasten in der Stadtgemeinde Bremen. – Atlas mit Erläuterungen, 28 S., 9 Abb., 60 Ktn., 1 Anl., (Bremer Entsorgungsbetriebe) Bremen.

UMWELTBUNDESAMT (1997): Daten zur Umwelt. – Der Zustand der Umwelt in Deutschland. – 570 S., UBA (E. Schmidt) Berlin.

WENDLAND, F. (1992): Die Nitratbelastung in den Grundwasserlandschaften der "alten" Bundesländer (BRD). – Berichte aus der ökolog. Forschung der KFA Jülich GmbH, 8/1992, 150 S., 10 Abb., 9 Tab., 25 Ktn., Jülich.

WENDLAND, F., ALBERT, H., BACH, M.,SCHMIDT, R. & MITARBEITER (1993): Atlas zum Nitratstrom der Bundesrepublik Deutschland. – 96 S. 10 Abb., 12 Tab., 31 Ktn., (Springer) Berlin/Heidelberg/New York.

=============================================================================================================

*Adresse des Autors und Copyright: Dir. u. Prof. Dr. Dieter ORTLAM, P.O.B. 102701, D-28027 Bremen